Vortrag zum Symposium der Europaïschen Netzwerk Produktion
Europäische Netzwerk Produktion, 25. Juni 2007
Zunächst mal ein Lob an das Europäische Netzwerk.
Vor ca. 10 Jahren begann ich meine internationale Arbeit mit der Hilfe
des Netzwerkes Aerowaves und konnte frühe Soli in Arhus, London, Tallinn
und Bergen zeigen. Dann ging alles ganz schnell und durch die
Tanzplattform Deutschland und weitere internationale Festivals war meine
Arbeit im Nu über einige Kontinente verteilt. Maßgeblich waren an
dieser rapiden Entwicklung beteiligt einerseits die "Aufbauarbeit" durch
die engagierten Produzenten Petra Roggel, Dirk Schlüter, Andre
Theriault und Ulrike Becker vor Ort hier in Berlin, und einige
internationale Produzenten wie Simon Dove der bis vor kurzem das
Springdance Festival in Utrecht leitete. Die gut ausgebaute Europäische
Festivalkstruktur, die es schon gab, ließ keine künstlerisch relevante
Arbeit unentdeckt. Das überall vertretene Goethe Institut unterstützt
seitdem annähernd 100% meiner Auftritte im Ausland. Ich erlaube mir an
dieser Stelle hier erstmal ein Dankeschön für diese Unterstützung bei
der Entwicklung meiner Kunst und die Hilfe bei der Präsentation, ohne
die diese Arbeit gar nicht möglich wäre.
Neben den Stücken in denen ich selber auf der Bühne stehe, wurden andere
Teile meiner Arbeit gerade auch durch diese Möglichkeit des Reisens und
des Austauschs mit anderen Ländern inspiriert, und diese Differenzen
bewusst gebraucht, wie z.B. "Baustelle - Einfahrt freihalten" in
Tallinn, oder "Schreibstück" das Buch mit der Partitur das jeweils 3
Choreographen aus verschiedenen Kontexten auf einer Bühne realisieren.
Mittlerweile gibt es glaube ich 21 Versionen aus 11 verschiedenen
Ländern und in diesem und nächstem Jahr wollen sich Choreographen aus
Brasilien, USA und Australien in den austauschbaren Reigen einreihen.
Später dann mit "Funktionen" legte Ich den Fokus auf autopoietische,
emergente Systeme, die sich in verschiedenen Projekten und Stücken auch
anderer Künstler weiterentwickeln. Im Ausland entstanden auch noch
weitere Auftragsarbeiten, die teilweise die Notwendigkeiten des
örtlichen Kontextes bearbeiten und diesen durch die Arbeit entwickeln
lassen. Tallinn war ein solcher Ort, und zuletzt auch Montevideo in
Uruguay, wo erstmals in diesem post-Diktatur gebeuteltem Land dieser
Staat ein Tanzstück mit Geld ausgestattet hat, um es In mehreren Städten
aufzuführen. Auch hier war maßgeblich das Goethe Institut an der
Realisation des Projektes beteiligt.
Aber mittlerweile ist man geneigt sich und seine Kunst als Europäisches bzw. globales Warengut zu verstehen.
Wie bei einer komplizierten Maschine, die in Deutschland entwickelt
wird, einige Einzelteile aus Tschechien geliefert werden, die in
Portugal vormontiert werden, dann das Ganze wieder nach Italien
geschickt wird um es zu lackieren, in Frankreich mit der kostbaren
Elektronik bestückt wird und letztendlich wird es in alle Welt verkauft,
in China kopiert und billiger hergestellt und schon funktioniert der
Markt zu Hause nicht mehr.
Was ist geschehen?
Die lokalen Strukturen kämpfen mit enormen finanziellen Schwierigkeiten
und richten ihre Arbeit immer mehr nach den thematischen Vorgaben und
Koproduktionsmöglichkeiten aus. Für die lokale künstlerische Tätigkeit
bleibt weder Geld, Raum noch Zeit. Das Gleichgewicht von lokaler und
Internationaler Finanzierung hat sich eklatant zu einem Muss von
Kooperationen entwickelt. Zunächst ist ja nichts dagegen einzuwenden,
wenn man sich Kosten teilt und gleich bei dieser Gelegenheit Gastspiele
vereinbart. Leider führt der Zwang von Kooperation auch zu thematisch
einengende, oder der Wettlauf um junge Talente und Ideen, zu einer
Benachteiligung lokaler Künstler bei gleichzeitiger inflationärer
Ausdünnung der Qualität.
Wie beim wirtschaftlichen Phänomen besteht auch in dem Choreographischen Sektor ein Warenüberschuss.
In unserer jetzigen Situation gibt es wenig stabilisierende Struktur, mit der die Kunst reifen kann.
Die überbetonte Fluktuation, das europäische Postulat des mobilen
flexiblen europäischen Künstlers mag ein in der heutigen politischen
Situation ein strebenswerter Gedanke sein, wenn man ein gesamt
europäisches Bewusstsein als Priorität setzt. Die realen Effekte dieser
Kulturpolitik benötigen jedoch einer genaueren Betrachtung.
Lokal und Deutschlandweit trete ich schätzungsweise etwa nur zu 5 - 10% auf. 70% im ausländischen Europa , 20 - 25% Übersee.
Allerdings ist es mir als Künstler nicht möglich direkt europäische Finanzen zu beantragen.
Um europäisch funktionieren zu können und auf europäischer Ebene wahr
genommen zu werden, brauche Ich aber auch einen Ort, der in der Lage ist
meine Arbeit in qualitativer Adäquatheit zu stützen.
So muss Ich z.B. meine Kunst lokal in Aufführungs- und Besucherzahlen
rechtfertigen um lokal förderungswürdig zu sein. Kein lokales Theater
kann aber mehr als 3 - 6 Aufführungen buchen, bei annähernd keiner
Bezahlung versteht sich, weil die Theater zu viele Stücke verschiedener
Künstler zeigen müssen, unter anderem auch deshalb, weil sie durch
förderungsrichtlinientaugliche Koproduktionen überhaupt ihren Etat
zusammenbekommen.
Für mich als lokalem Künstler heißt das, dass Ich im Prinzip mit dem
Geld, z.B. die Förderung vom Senat Berlin, das ich bekam um mein Stück
zu produzieren, die Struktur des Theaters stützen muss, um dort
auftreten zu können. Vorschläge, ob Ich für weitere minimale
Produktionshilfen eines Theaters auch noch zahlen würde, schockieren
mich dermaßen, dass mein mit niedergeschlagenen Augen peinlich berührtes
Schweigen dann auch als negative Antwort richtig verstanden wird.
Letztendlich kommt es dann doch wieder auf die persönlichen Kontakte an,
um überhaupt eine Kontinuität der Unterstützung zu haben.
Solche direkten Kontakte zu EU Vertretern bleiben aber dem Künstler, meist sogar den Produzenten unzugänglich.
Auf internationaler Ebene sucht man sich die Produzenten zusammen, mit
denen man arbeiten will, Produzenten die Arbeit nicht nur kurzfristig
zeigen, sondern auch langfristig dazu stehen. Manchmal ergibt sich dann
auch die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung. Die Menge an
Kommunikationen, und die Menge an Menschen, die man in die
Auseinandersetzung und Ideen einbeziehen muss, überschreitet natürlich
das normale menschliche Vermögen, und ist bei paralleler künstlerischer
Arbeit eigentlich nicht zu bewältigen.
Sinn macht es durchaus in einer anderen Umgebung zu arbeiten um vor dem
Alltag Ruhe zu haben, sich zu konzentrieren. der Austausch von Ideen
kann natürlich Inspirationen hervorbringen. Das internationalen Touren
und damit
einhergehende Informations-Distribution führt aber leider auch dazu dass
sich überall die gleichen Fragen gestellt werden. Das Europrodukt Tanz
gleicht sich. Anstatt sich thematisch-künstlerisch auseinander zusetzen,
werden Konzepte und Ästhetiken kopiert, im günstigen Fall leicht
variiert, den Vorgaben der internationalen Zusammenarbeit versucht man
gerecht zu werden, doch ist der Anspruch an hochwertige Kunst bei der
Suche nach eurotauglichen Ideen bisher nicht eingelöst worden.
Aber ich frage mich, ob bei allen Funktionalisierungsversuchen der Kunst
eine eigenständige Kunst überhaupt noch erwünscht ist. Will man dies,
dann muss der Kunst ein gewisser Freiraum eingestanden werden, der nicht
kontrollierbar ist. Thematische Vorgaben und politisch geographische
wirtschaftliche Interessen als Orientierungsmarken sind keine der
europäischen Kultur adäquate Herangehensweise.
Im Modell des europäischen Warentransfers wird die Kunst zur Zeit verfeuert.
Das gute an der Kunst aber ist, dass ein kein Konzept geben kann die Kunst zu tun, ohne sie dessen zu berauben was sie ausmacht.
Diesem Kunst-inhärenten Faktor nämlich, ist es zu verdanken, dass sich
die Kunst immer wieder eine Nische, einen Freiraum sucht ein
unvorhergesehenes Produkt hervor zu bringen auf das ja auch eigentlich
alle warten. Da es kein Konzept gibt, wie man Kunst machen muss, kann es
folglich auch kein Konzept geben die Kunst zu lenken, zu
instrumentalisieren. Damit die Kunst die Kunst ist, die außerhalb der
Regeln eine eigenständige, diskursive, kritische, ihre eigene
gesellschaftliche Aufgabe ernst nehmende Funktion erfüllen soll, dann
sollte auf politischer Ebene verstanden werden, dass die interessanten
Projekte aus der Friktion mit der Struktur, aus der unerhofften
Begegnung mit der Differenz, einem beschützten Freiraum und einem immer
weiter hinterfragendem Geist des Künstlers hervorgehen. Alles Faktoren,
die man weder messen noch zählen, in den meisten Fällen sogar nicht
beschreiben kann, da es bei dem sich schnell wandelnden Phänomen Kunst
keine fixen Kriterien geben kann.
Nur wenn die Kunst ihre Aufgabe in der Natur ihrer Funktionsweise
ausführt, können auch andere Bereiche wie der der Wirtschaft und der
Politik, des Erziehungssystems im Wechselspiel mit der Kunst von dieser
profitieren. Nicht, wenn ihr artfremde Funktionsweisen aufgezwängt
werden.
Dass man mich bitte nicht falsch versteht: Grosse Teile meiner Arbeit
beinhalten die Absicht ein komplettes, intelligentes, Selbstbestimmtes
und nicht zuletzt auch kommunikatives und demokratisches Menschenbild
auf der Bühne aufzuzeigen. Einen Menschen, der in der Lage ist, die Welt
zu reflektieren und sich so zu gestalten wie es nach einigen tausend
Jahren Europäischer Philosophie eigentlich angebracht ist.
Und für diese Idee bin ich auch gerne in Staatsauftrag unterwegs, habe
ich doch selbst noch einen Vater gehabt der in vielen Ländern Europas in
Staatsauftrag anderen Menschen den Schädel einschlagen sollte.
Allerdings, und eventuell auch gerade deshalb lasse Ich mich nicht gerne
als Bindeglied, Vorhut, oder Lückenbüßer für Wirtschaftsinteressen oder
Expansionspolitik gebrauchen.
Von der EU wurde der Gedanke formuliert ein gesamteuropäisches
Bewusstsein durch den mobilen flexiblen Künstler hervorzurufen. Sprich,
man bekommt Geld, wenn man diesen Leitgedanken mit seiner Kunst
transportiert.
Einerseits ist dies eine politische Forderung, die eigentlich nicht mit
den Grundlagen einer freien künstlerischen und kulturellen Ausübung
einhergeht, und andererseits geht es auch nicht weit genug, denn was
sind denn eigentlich die Stärken der Kunst, des Kunstaustausches? Was
kann denn die Kunst leisten, was weder die Wirtschaft, die Erziehung
oder jedes andere Soziale System nicht leisten kann?
Und, tut die Kunst das verlangte nicht schon immer? Ist es nicht das
kunsteigene Interesse in Differenz zu treten, von der Verschiedenheit zu
lernen, um immer wieder eine neue Differenz zu kreieren? Waren es nicht
Künstler und Produzenten, die als erste in der Lage dazu waren
miteinander menschengerecht zu kommunizieren, während es in der Politik
noch um Besitz, Macht und höchstenfalls ideologische Auseinandersetzung
allerdings mit kriegerischen Mitteln ging?
Produzenten und Künstler machen schon längst diesen geforderten
Austausch, das Touren, die Kooperation, aus einem künstlerischen
Interesse heraus. Es braucht keine weiteren Zwänge dies zu tun.
Woran es fehlt, sind Strukturen und Menschen die unkompliziert und
direkt über Räumlichkeiten und Mittel verfügen, um sie der Kunstpraxis
zur Verfügung zu stellen, ohne sofortige, zählbare, vorzeigbare, in den
politischen Kontext einbindbare, benutzbare Ergebnisse zu erwarten.
Europa ist überall. Nicht nur in Bukarest, Warschau, Tallinn, und vielen
weiteren Orten der neuen Beitrittsländer, sondern Europa ist auch
Berlin, Hamburg, Essen, Gelsenkirchen, Saarbrücken, Cottbus und
Finsterwalde.
In allen Orten und Einrichtungen arbeiten schon Menschen die lokale
Szene und des Benötigten am Besten verstehen. Ein direkter Dialog mit
diesen Produzenten und nicht zuletzt auch mit den Künstlern selbst wäre
hier seitens der EU von Nöten. Fällt die lokale Struktur den
wirtschaftlichen Zwängen und Themen zum Opfer, wird man bald keinen
konstruktiven Beitrag zum europäischen Gedanken mehr machen können und
führt es zu einer qualitativen Schwächung des Gesamten.
Wirtschaftliche Strategien sind nur begrenzt oder gar nicht für den Betrieb der Kunst tauglich.
Ich möchte eine Auseinandersetzung über die Ideen, nach denen wir unsere
Modelle einer europäischen Förderung und eines Europäischen
Netzwerkgedankens praktikabel auf die realen unterschiedlichen
Notwendigkeiten der Künstler und der Gesellschaft neu ausrichten können.